Satire: Banker oder Penner?
Hier präsentieren wir euch den ersten von drei Schülerbeiträgen aus der Abschlussklasse 10a. Eine wirklich lesenswerte Satire, die im Deutschunterricht bei Herrn Geißler entstanden ist.
Banker oder Penner?
Ich bin jetzt Schüler einer Abschlussklasse des 10. Schuljahres und stehe vor einer Grundsatzentscheidung. Unsere Schule und die Lehrer haben in vielen Jahren versucht, mich auf das Berufsleben vorzubereiten. Ich habe hunderte von Projekten durchlitten, tausende Durchsagen gehört, AGs und Förderkurse besucht, mein bisheriges Leben in einem vom Staat finanzierten Portfolio-Ordner gequetscht, lesen, schreiben und rechnen gelernt, nur damit ich später mal als „Arbeitssklave“ Steuern und Sozialabgaben abdrücken kann. Aber kurz vor Schulende kommt mein Deutschlehrer daher und meint, uns mit einer Doku über zwei Edelpenner der Musikgruppe „Guaia Guaia“ quälen zu müssen. Andererseits hat dieses Leben in Frei- und Unabhängigkeit in unserem auf Arbeit und Gruppenzwang gedrängten Gesellschaftssystem auch seine Vorteile, wenn ich mir das so recht überlege.
Da die beiden Straßenmusiker Elias und Carl Luis die Schule abgebrochen haben, blieb ihnen die höchstnervige Zeit im Unterricht von berufsvorbereitenden Fächern erspart. Ihr nicht vorhandener Schulabschluss hindert sie allerdings keineswegs daran, ihr Hobby, ihre Leidenschaft, die Musik, zum Beruf zu machen. Außerdem müssen sie sich nicht, wie der normale Jugendliche, sich durch Broschüren wälzen, zahlreiche Ausbildungsmessen und Informationstage besuchen, um später bei Ausbildungsbeginn zu erfahren, dass der ausgewählte Beruf doch nicht der richtige ist. Eine weitere Errungenschaft unserer Zeit, welche über beruflichen Erfolg und Pech entscheidet, bleibt ihnen ebenfalls erspart: Bewerbungsgespräche, Einstellungs- und Eignungstest, deren Ziel es sein soll zu entscheiden, wie gut jemand in die überstrengen Unternehmensrichtlinien hineinpasst und seine monotone Arbeit verrichten kann. Den beiden Musikanten bietet sich eine viel bessere und ehrlichere Möglichkeit, um herauszufinden, ob sie gut musizieren können, denn wenn sie es gut tun beziehungsweise können, versammelt sich eine Menschenmenge um sie, fängt an zu tanzen, singt mit oder freut sich einfach. Dies machen die Menschen aber nur, wenn es ihnen wirklich gefällt.
Die beiden Musiker haben nicht mit der fast schon studienfachreifen Bürokratie zu kämpfen, die sich einem sonstigem Bürger auftut, wenn er einen Mietvertrag abschließen oder sein Haus über einen Kredit finanzieren möchte. Da die beiden fast immer quer durch die Republik reisen, haben sie auch fast täglich neue Schlafplätze und, was jedoch noch viel wichtiger ist, sie lernen immer wieder neue Leute kennen. Dies bietet eine tolle Abwechslung gegenüber der öde eingerichteten Wohnung eines Durchschnittsarbeiters, welcher sich nach der eintönigen erledigten Arbeit vor den Fernseher schmeißt, um sich von Scripted-Reality-Serien auf RTL und Co berieseln zu lassen. Gleichzeitig bezahlt er, wie ein Computer, ohne Widerspruch die jährlich teurer werdende Grundversorgung (Strom, Wasser, GEZ, Gas etc.). Für die beiden Obdachlosen stellen solche Kosten jedoch kein Problem dar, sie „nehmen“ sich, was sie brauchen. Aber weil der Staat und die Firmen sich diese Einnahmen nicht entgehen lassen wollen, schicken sie ihnen wegen „Stromklau“ das polizeiliche Sondereinsatzkommando. Damit können die beiden jedoch gut umgehen, denn ihre jahrelange Erfahrung mit solchen polizeilichen Problemen hilft ihnen hier sehr gut weiter.
Ein weiteres Einsparpotential bietet sich Elias und Carl Luis bei ihrer Renten- oder Krankenversicherung, welche jedem normalen Arbeitssklaven automatisch und ohne Erbarmen monatlich direkt vom Gehalt abgezogen wird. Die beiden vertrauen auf die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft von Notdiensten. Keine Krankenversicherung zu haben, ist vor allem deshalb vorteilhaft, weil kein Zwang entsteht Geld aufzubringen, für eine Leistung, die man teilweise über mehrere Jahre, manchmal sogar über Jahrzehnte am Stück nicht in Anspruch nimmt. Auch bei der Freizeitgestaltung kann gespart werden, denn sie können grundsätzlich immer machen, was sie wollen wohingegen der normale Arbeiter seine Termine planen und Vereinsmitgliedschaften eingehen muss oder am allerbesten noch 24 Stunden am Tag - 7 Tage die Woche, über WhatsApp und Handy abrufbereit sein soll.
Meiner Meinung nach ist ihr Leben zwar in dem einen oder anderen Punkt sicherlich risikoreicher als das eines durch gesetzliche Bestimmungen überbehüteten „Arbeitssklaven“, dennoch wird dieses Risiko durch die Möglichkeit in Frei- und Unabhängigkeit zu leben kompensiert, gleichzeitig ermöglicht ihr Lebensstil es ihnen, ihr Hobby zum Beruf zu machen.